Die Diskussion um die sog. „Scheinselbständigkeit“ hat bei Handelsvertretern und Unternehmern teilweise zu erheblichen Verunsicherungen bei der Gestaltung der Zusammenarbeit geführt. Unter Hinweis auf „die Scheinselbständigkeit“ wird von Handelsvertreterseite häufig die Auffassung vertreten, ein Handelsvertreter sei als selbständiger Unternehmer nicht verpflichtet, Weisungen des von ihm vertretenen Unternehmens zu befolgen. Dies ist jedoch genauso unrichtig, wie die nicht selten auf Unternehmerseite anzutreffende Ansicht, das Weisungsrecht gehe grundsätzlich so weit, wie der Unternehmer es für richtig und notwendig halte.

1. Grenze des Weisungsrechts: Selbständigkeit des Handelsvertreters 
Das Weisungsrecht des Unternehmers besteht unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung. Eine klar abgesteckte und allgemein gültige Grenze, wie weit das Weisungsrecht gehen darf, gibt es allerdings nicht. Anerkannt ist jedoch, dass Weisungen des Unternehmers die rechtliche Selbständigkeit des Handelsvertreters in ihrem Kerngehalt nicht beeinträchtigen dürfen. Der Handelsvertreter muss in der Gestaltung seiner Tätigkeit und Bestimmung seiner Arbeitszeit im Wesentlichen frei bleiben, § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB.

Beachte: Ist ihm das nicht mehr möglich, gilt er zwar kraft Gesetzes als Angestellter, § 84 Abs. 2 HGB, verliert aber auch den Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB. Der Umfang des Weisungsrechts richtet sich nach dem Umfang der mit dem Handelsvertreter vereinbarten Aufgaben und dem Ausmaß seiner Befugnis, den Unternehmer zu binden. Je weiter die Befugnisse des Handelsvertreters ausgestaltet sind, desto weiter geht auch das Weisungsrecht des Unternehmers, weil er in diesem Fall keine andere Möglichkeit hat, die Ergebnisse der Tätigkeit des Handelsvertreters zu steuern und z.B. unbeabsichtigte Vertragsabschlüsse zu vermeiden. Selbst wenn ein Vertreter aber „nur“ vermittelnd tätig und nicht abschlussbevollmächtigt ist, kann ein weitgehendes Weisungsrecht gegeben sein. Dies gilt z.B. in der Versicherungswirtschaft, weil dort für die Gesellschaften besonders hohe finanzielle Risiken auf dem Spiel stehen, wenn der Versicherungs- oder Leistungsfall eintritt. Wo die Grenze in der Praxis verläuft und der Eingriff in den Kernbereich der Selbständigkeit beginnt, lässt sich am besten an einzelnen Beispielen verdeutlichen:

Keine Tourenplanung
Der Unternehmer kann auch vom selbständigen Handelsvertreter verlangen, dass er innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens bestimmte Kunden oder Interessenten besucht. Anders als bei einem angestellten Reisenden kann er dem Handelsvertreter aber nicht die konkrete Tourenplanung im Einzelnen vorschreiben, z.B. die Reihenfolge der Besuche, den exakten Zeitpunkt, etc.

Berichtspflichten
Ebenso wenig darf der Unternehmer eine Tätigkeitskontrolle vornehmen, beispielsweise durch tägliche Berichterstattung, wann der Handelsvertreter wo mit wem wie lange gesprochen hat. Gleichwohl kann vom Handelsvertreter aber verlangt werden, den Unternehmer aktuell über alle wichtigen Informationen, die den betreuten Kundenkreis betreffen, auf dem Laufenden zu halten. Was hier genau zulässig ist, bestimmt der Einzelfall.

Beachte: Bei einem erheblichen Umsatzrückgang sind ausnahmsweise auch tägliche Berichtsanforderungen durch den Unternehmer zulässig. Das Interesse des Unternehmers, die Gründe für den Umsatzrückgang herauszufinden, rechtfertigen für einen gewissen Zeitraum eine Mehrbelastung des Handelsvertreters und eine mit einem intensiveren Berichtswesen verbundene gewisse Einschränkung der Selbständigkeit des Handelsvertreters.

Geschäftspolitik 
Auch wenn bei Vertragsgestaltung und Vertragspraxis darauf zu achten ist, dass die persönliche Selbständigkeit des Handelsvertreters gewahrt bleibt, darf der Unternehmer ihm Weisungen im Bereich der Vertriebssteuerung erteilen, z.B. dass er den Schwerpunkt seiner Vermittlungstätigkeit auf bestimmte Produkte (z.B. Oster- oder Weihnachtsartikel) oder auf einen besonderen Kundenkreis zu konkretisieren oder aber einzelne Kunden (z.B. schlechten oder säumigen Zahlern) nicht zu bearbeiten hat. Ebenso ist die Anweisung, bei der Vermittlungstätigkeit beispielsweise Änderungen in den Geschäftsbedingungen (neue Zahlungsziele oder Zahlungsbedingungen) einzuhalten, zulässig, und zwar auch dann, wenn dadurch das Provisionsinteresse des Vertreters beeinträchtigt wird.

Beachte: Führt diese zulässige Weisung allerdings zu deutlich spürbaren Provisionseinbußen, steht die Möglichkeit einer ausgleichserhaltenden ordentlichen Kündigung des Handelsvertreters aus begründetem Anlass im Raum.

2. Vertragliche Vereinbarungen
Das Weisungsrecht kann im Handelsvertretervertrag konkretisiert werden. Zu beachten ist allerdings auch hier, dass die Selbständigkeit des Handelsvertreters in ihrem Kernbereich nicht beeinträchtigt wird.

Tipp: Zulässig ist z.B. die Pflicht des Handelsvertreters, für seine Berichte vom Unternehmer gestellte Formulare zu verwenden.

3. Fehlende Weisungen
Macht der Unternehmer von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch oder sind die erteilten Weisungen unvollständig, sind für die Tätigkeit des Handelsvertreters der Vertrag und das Gesetz maßgebend. Der Handelsvertreter muss sich so verhalten, wie es der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns bzw. dem Willen des Unternehmers am ehesten entspricht. Er ist kraft Gesetzes Interessenwahrer der vertretenen Firma, § 86 Abs. 1, 2. Halbsatz HGB.

Tipp: In Zweifelsfällen sollte der Handelsvertreter wegen dieser Interessenwahrungspflicht Rücksprache mit dem Unternehmer halten und sich erforderlichenfalls sogar Weisungen zur Regelung bestimmter Vorgänge ein.

4. Folgen der Überschreitung des Weisungsrechts
Überschreitet der Unternehmer sein Weisungsrecht – versucht er z.B., dem Handelsvertreter bestimmte Arbeitszeiten oder Reiserouten vorzuschreiben – sind diese Weisungen für den Handelsvertreter nicht verbindlich und er muss ihnen keine Folge leisten.

Beachte: Allerdings ist der Handelsvertreter in der Regel verpflichtet, den Unternehmer von der beabsichtigten Nichtausführung der erhaltenen Weisungen in Kenntnis zu setzen (§ 665 BGB). Beharrt der Unternehmer trotz Abmahnung(en) des Handelsvertreters auf Weisungen, die den vertretbaren Rahmen überschreiten, kann der Handelsvertreter berechtigt sein, das Vertragsverhältnis aus begründetem Anlass fristgerecht mit ausgleichserhaltender Wirkung zu kündigen.

Beachte: Folgt der Handelsvertreter aber dauerhaft solchen Weisungen, besteht die Gefahr, dass das Vertragsverhältnis von einem Handelsvertretervertrag in ein Arbeitsverhältnis „kippt“.

5. Folgen der Weigerung bei berechtigter Weisung
Weigert sich der Handelsvertreter, Weisungen zu erfüllen, die weder rechtsmissbräuchlich sind, noch den nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmenden Rahmen überschreiten, verletzt er seine Interessenwahrnehmungspflicht. Da diese zwingend gesetzlich verankert ist, § 86 Abs. 4 HGB, kann er den Handelsvertreter abmahnen und, kommt der Handelsvertreter berechtigten Abmahnungen unter Androhung der Kündigung nicht nach, Anlass zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund geben.

Beachte: Eine solche Kündigung schließt den Ausgleich aus. Sie berechtigt den Unternehmer gleichzeitig, den durch die Nichterfüllung der Weisungen entstandenen Schaden vom Handelsvertreter ersetzt zu verlangen.